Was ist Entwicklungstrauma?

Das Wort Trauma kommt aus dem Griechischen und bedeutet allgemein Verletzung/Wunde. In der Psychologie bezeichnet Trauma die Folge eines überwältigenden Erlebnis, dass bei dem Betroffene subjektiv empfundene Angst, Panik, Hilflosigkeit und ein Gefühl der Ohnmacht ausgelöst hat und welches die natürlichen Bewältigungsstrategien unseres Organismus völlig überfordert hat. Während eines traumatischen Erlebnisses befindet sich der Mensch also in einer ausweglosen Situation. Er kann weder kämpfen, noch fliehen. Er ist handlungsunfähig und der Situation hilflos ausgeliefert, so wie auch ein kleines Baby oder Kind.

In einer bedrohlich empfundenen Situation läuft in unserem Nervensystem automatisch ein Notprogramm ab. Durch Hormonausschüttung wird unsere Körper auf Kampf oder Flucht vorbereitet. Können wir jedoch weder kämpfen noch fliehen, kommt es zu einer Art Erstarrung. Erst wenn die, durch traumatische Ereignisse mobilisierte enorme Energie, wieder entladen wurde, ist für den Körper die Gefahr vorbei. Ansonsten bleibt er weiterhin in Alarmbereitschaft. Die Überlebensenergie wird im Nervensystem gebunden und es entsteht ein Trauma.

Im Trauma stecken geblieben

Die Traumareaktion ist eigentlich ein hochintelligernter Schutzmechanismus. Wenn wir etwas erleben, was uns sehr stark überfordert, ist dieser Schutzmechanismus ein Segen. Wenn wir diese Traumaantwort jedoch anschließend nicht wieder auflösen, dann verfestigt sich diese.

Der Organismus kann sich im Anschluss also nicht mehr selbst regulieren und zu einem normalen Leben zurückkehren. Er bleibt in der Erfahrung „stecken“. Ein Trauma ist somit ein verfestigter Zustand im Nervensystem eines Menschen. Körper, Geist und Seele werden in Folge beeinträchtigt und die Lebensenergie stagniert bzw. erstarrt. Traumatisierungen spielen eine zentrale Rolle für die Entwicklung psychischer und körperlicher Probleme.

Entwicklungstrauma – Daueralarm im Nervensystem

Traumatisierend können in der Kindheit aber schon scheinbar kleine, sich oft wiederholende Ereignisse sein, die im feineren, zwischenmenschlichen Bereich stattfinden. Dann leiden wir – ohne es zu wissen – unter einem sogenannte Entwicklungstrauma, im englichen auch „Soft Trauma“ genannt.

Ein Entwicklungstrauma bedingt häufig ein Nervensystem, das nicht sehr belastbar ist und schwer zur Ruhe und Entspannung finden kann. Viele Menschen verstehen sich selbst nicht und suchen verzweifelt nach dem Grund für ihre Unausgeglichenheit, Ängste, Panik oder Depressionen. Hauptsymptome eines Entwicklungs- und Bindungstraumas sind Probleme bei der Selbstwahrnehmung, dabei Emotionen richtig zu erkennen und auszuhalten und somit erhebliche Schwierigkeiten mit der Selbstregulation.

Mögliche Ursachen eines Entwicklungstrauma

Wenn wir das Wort Trauma im Zusammenhang mit Kindheit hören, denken wir vor allem an gravierende Erfahrungen wie Gewalt oder grobe Vernachlässigung. Ein Baby jedoch, das allein gelassen wird, kann schon die Situation des Alleingelassenseins als lebensbedrohlich empfinden. So eine Situation kann Todesangst auslösen und das Nervensystem des betreffenden Menschen nachhaltig belasten.

Beispiele weiterer Ursachen für ein Entwicklungstrauma sind:

  • eine schwere Geburt
  • das Baby wird nach der Geburt, oder auch später alleine ins Bettchen gelgt oder schreien gelassen (war früher üblich) siehe …hier
  • keine angemessene Unterstützung in Stressregulation durch die Eltern
  • nicht ausreichender Kontakt – körperlich und emotional.
  • schwere Krankheit als Babys / Kind
  • unreife, ängstliche, traumatisierte oder psychisch kranke Eltern
  • Eltern mit Alkoholproblemen, Essstörungen…
  • fehlendes Sicherheitsbedürfnis durch viel Streit oder Suchtprobleme im Elternhaus
  • unsichere Bindungserfahrungen …still face experiment
  • Bindungsunterbrechungen, wie frühe Krankenhausaufenthalte und Operationen
  • permanente Grenzüberschreitung
  • Bestrafung durch alleine lassen, Liebesentzug oder körperliche Bestrafung (auch Klaps auf Po etc.)
  • Bedürfnisse, Wünsche und Eigenarten des Kindes werden nicht gesehen oder nicht ganz ernst genommen
  • Grenzen und Abgrenzung des Kindes werden nicht immer ernst ganz genommen
  • Nicht ausreichendes Spiegeln der kindlichen Wahrnehmung und der kindlichen Gefühle
  • früher Tod einer wichtigen Beziehungsperson oder Familienmitglieds
  • krankes Geschwisterkind
  • seelische Verstrickungen
  • sehr strenge Erziehung, zwanghaftes Umfeld
  • Überbehütung oder Verwahrlosung
  • etc.

Es ist möglich, dass diese frühen Verletzungen zu einem sogenannten Entwicklungstrauma führen, was eine ebenso einschneidende Wirkung auf unser Leben haben kann, wie ein Schocktrauma.

Es ist für ein Baby aber schon traumatisch, wenn es allein in das Nebenzimmer gelegt wird, wie es in früherer Zeit oft gemacht worden ist, Für einen Erwachsenen ist es schwer zu verstehen, wie beängstigend solche Dinge für ein winziges Baby sind.

Spielen die obenen genannten traumatische Bedingungen in der Kinheit eine Rolle, so fühlen sich die Kinder oft unsicher. Dies kann sich in ängstlichem, unruhigen, unkonzentrierten, scheuem oder auffallenden Verhalten zeigen. Diese Kinder und späteren Erwachsenen sind dann schnell irritierbar und wirken oft abwesend. Sie leiden möglicherweise unter ständiger innerer Unruhe, Ängsten, Depressionen,  Schlafproblemen und Stressverarbeitungsstörungen.

Wirkung von Entwicklungstrauma auf das erwachsene Nervensystem

Wenn ein frühes Trauma vorliegt, entwickeln wir zwar Impulse von Flucht und Verteidigung, können diesen aber nicht folgen. Es werden Stresshormone ausgeschüttet, die die Energie für Kampf oder Flucht bereitstellen. Als Traumatisierte fühlen wir uns jedoch auch als Erwachsene weder in der Lage zu kämpfen, noch zu fliehen. Die bereitgestellte Kampf- und Fluchtenergie verbleibt somit im Körper. Die gesunde biologische Stressregulation kann nicht stattfinden.

Menschen mit einem frühen Trauma haben ein sensibleres Nervensystem als Menschen, die nicht traumatisiert sind. Unter Stressbedingungen und Angst reagiert unser Körper mit Bereitstellungsreaktionen für Kampf, Flucht oder Starre. Infolge dessen kann sich die Grundspannung sämtlicher Muskeln erhöhen. Aufgrund von Entwicklungstraumata entstehen dann chronische muskuläre Spannungsmuster, die als Schutz einer Person gegen Angst und Schmerz zu sehen sind.

Zudem kann es zu einer Steigerung der Atemfrequenz bis zur Hyperventilation kommen. Ist es uns unmöglich zu kämpfen oder fühlen wir uns hilflos und unfähig zu kämpfen oder zu fliehen, kommt es zum häufigen Anhalten des Atems und zur Erstarrung, die oft als auch als Depression empfunden wird.

Dauerhafte Schuldzuweisungen sind nicht angebracht!

Es ist wichtig zu verstehen, dass die meisten Eltern zu jedem Zeitpunkt ihr bestes gegeben haben. Sie sind oft ebenfalls verletzt und traumatisiert und auch die Generation zuvor (oft Kriegsgeneration) hat viel mitgemacht. Andauernde Schuldzuweisungen helfen also niemandem, sondern sind im Gegenteil auf Dauer kontraproduktiv. Mit einer Traumatherapie, die ein Familienmitglied macht, kann oft dem gesamten Familiensystem (Kindern, Eltern, Geschwistern etc.) ein Stück weit geholfen werden.

Bindungsprobleme und soziale Probleme als Folgen eines Entwicklungstraumas

Frühe traumatische Erfahrungen haben zudem fast immer Bindungsprobleme zur Folge und beeinträchtigen unsere Fähigkeit, mit uns selbst, einem Partner und mit anderen Menschen in glücklichem und befriedigendem Kontakt zu sein.

Das liegt daran, dass unsere Beziehungsfähigkeit und unsere Bindungsmuster in unseren ersten Lebensjahren geprägt werden. Es ist schwer zu glauben, dass diese Zeit so prägend war, dass wir noch heute die Muster von damals in uns tragen und in unseren Beziehungen ständig wiederholen.

Als Reaktion auf das Verhalten unserer Eltern entwickelten wir in unserer Kindheit Überlebensstrategien, die zur Schmerzvermeidung (d.h. das Unaushaltbare nicht mehr fühlen zu müssen) dienen sollen.

Wir haben einerseits ein starkes Bedürfnis nach Kontakt und gleichzeitig eine große Angst vor Kontakt. So kommt es häufig sowohl zu Schwierigkeiten anderen Menschen wirklich nahe zu kommen, als auch zu Schwierigkeiten unsere eigenen Grenzen selbstverständlich setzen zu können. Dies kann im Laufe des Lebens zeitweise bis zu sozialen Ängsten bzw. sozialen Phobien führen.

zurück zur…  StartseiteBurnout und Entwicklungstrauma